«Ich bin dankbar, dass sie mich nicht getötet haben»

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von Ann Guenter – Fast zwei Jahre wurde der US-Journalist Theo Padnos von Extremisten in Syrien gefangen gehalten. 20 Minuten hat mit ihm gesprochen.

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Er hat überlebt, fast zwei Jahre Geiselhaft in den Händen des syrischen Al-Qaida-Ablegers hat er überstanden. Im Dokumentarfilm «Theo Who Lived» erzählt der US-Journalist Theo Padnos jetzt seine Geschichte (Trailer unten).20 Minuten hat mit ihm gesprochen – über die Gefangenschaft bei Jabhat al-Nusra (die sich seit Ende Juli Jabhat Fateh al-Sham nennt, die Redaktion), wieso es überhaupt so weit kommen konnte und über seine «sehr netten» IS-Mitgefangenen.

Herr Padnos, haben Sie ein Stockholm-Syndrom?
Lustige Frage. Vielleicht insofern, als dass ich meinen Entführern sehr dankbar bin, dass sie mich nicht umgebracht haben. Aber ich glaube nicht an ihre Sache oder habe mich jemals zum Fürsprecher ihres Extremismus gemacht.

Wieso stehen Sie noch immer in Kontakt mit einigen ihrer Peiniger?
Ich interessiere mich dafür, was sie so machen. Und es ist etwas anderes, wenn man aus der Ferne chattet und keine Pistole an den Kopf gedrückt bekommt. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor ihnen. Ich bin daran interessiert, wie diese Leute ticken. Denn es gibt so viele von ihnen, dass man sie nicht alle umbringen kann. Also suche ich das Gespräch.

Würden Sie sagen, dass Sie mittlerweile eine Art Freundschaft verbindet?
Freundschaft? Nein. Oder sagen wir: Nichts, das über eine Facebook-Freundschaft hinaus geht.

Worüber reden Sie denn mit ihnen?
Alltägliches aus dem Krieg. Wie es ihnen geht, wer verwundet wurde, was für Bombenangriffe es gab. Was so alles geschieht im IS-Kriegsland.

Sie gerieten in Gefangenschaft, weil Sie 15 Minuten verspätet waren.
Das stimmt. Ich war sehr naiv und sehr unvorbereitet, träumte davon, mit einer Geschichte aus Syrien meine Karriere als freier Journalist ankurbeln zu können. Oh Mann.

Erzählen Sie von diesem Tag.
Ich hing im türkischen Antakia herum, einer Grenzstadt mit einer Arabisch sprechenden Mehrheit. Die Leute fahren fast täglich nach Syrien. Einige von ihnen sind Jihadisten, andere Ärzte oder Bäcker, die in Syrien geschäften. Ich dachte mir, dass ich mich mit meinem fliessenden Arabisch locker einer Gruppe anschliessen könnte. Denn die Hilfsbereitschaft ist gross und die meisten freuen sich, jemanden mitnehmen zu können. Also beobachtete ich die Leute, schaute, wer sympathisch und vertrauenerweckend aussah und sprach schliesslich zwei Gruppen von Männern an. Beide erklärten sich freudig bereit, dass ich sie begleiten könne. Eine Gruppe ging um 8 Uhr morgens los, die andere erst am Mittag. Am nächsten Tag verpasste ich die erste Gruppe um 15 Minuten. Also ging ich mit der zweiten mit. Ein Fehler, denn diese Männer schlugen mich zusammen und entführten mich.

Traue also keinen Langschläfern?
In dem Fall fing der frühe Vogel den Wurm nicht – doch wer weiss, ob mit der früheren Gruppe alles gut gegangen wäre.

Sie teilten Ihre Zelle zeitweise mit gefangen genommenen IS-Anhängern.
Das war ein Glück für mich. Es mag komisch klingen, aber es waren sehr nette Typen, alles Syrer und Iraker. Wir haben stundenlang geredet. Ausser mit ihnen durfte ich mich nie mit Gefangenen unterhalten. Und wegen ihretwegen wurde ich zunehmend besser behandelt.

Wie das?
Sie lehrten mich, den Koran zu lesen – und das nutzte ich natürlich gegenüber meinen Entführern.

Mit welchem Erfolg?
Ich wurde als Gefangener im Verlauf der zwei Jahre quasi befördert: Vor meiner Freilassung lebte ich zusammen mit der Nusra-Führung in einer schönen Villa, in der ich als Hausboy für alles arbeitete und mich darin frei bewegen konnte. Ich war kein normaler Gefangener mehr und man behandelte mich gut. Natürlich auch, weil klar war, dass man etwas für mich kriegen würde. Zudem glaube ich nicht, dass die Nusra-Kommandanten zu diesem Zeitpunkt noch dachten, dass ich nach Syrien gekommen war, um zu spionieren. Falls doch, müssen sie davon ausgegangen sein, dass ich ein echt schlechter Spion war.

Wie war denn Ihr Umgang mit den Nusra-Kommandanten zu diesem Zeitpunkt?

Wir scherzten zusammen, sprachen über Mädchen, Filme, Alltägliches. Aber wir hatten auch ernste Gespräche. Ich riet ihnen etwa, ihren Namen zu ändern, um eine Distanz zur al-Qaida zu schaffen. Ich sagte ihnen, al-Qaida, das ist so 80er Jahre, das ist so Osama Bin Laden, und der ist tot. Ich war quasi ihr Marketingberater. Nein, ich scherze nur. Doch derlei Gespräche fanden statt. Wenn man Angst hat, jeden Moment umgebracht zu werden, versucht man, sich mit seinen Entführern gutzustellen, und man sagt alles, damit sie einen mögen.

Wie kamen Sie frei?
Ich versuchte oft zu fliehen, ohne Erfolg. Aber es gab Verhandlungen mit meiner Familie, der US-Regierung und schliesslich schaltete sich auch die Regierung von Katar ein. Ich weiss, dass vor allem meine Familie sehr viel für meine Freilassung tat. Und es war ein Glück, wenn man es so nennen kann, dass ich in die Hände von Jabath al-Nusra und nicht in die Hände des IS gefallen war.

Wieso?
Die Nusra ist an Verhandlungen, an Lösegeld oder Austauschen interessiert. Und sie sucht immer auch Alliierte. Die Nusra-Kommandanten wollen in erster Linie Krieg gegen Bashar al-Assad führen, den IS-Kommandanten geht es um den Krieg gegen die ganze Welt. Insofern profitieren die Gefangenen der Nusra-Front von deren Verhandlungsbereitschaft mit der Welt, eine Bereitschaft, die der IS nicht hat. Ich weiss nicht, was mein Preis war – aber die Jihadisten haben sicher mehr als nur einen Blumenstrauss des Dankes erhalten.

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